Im Juni 2014 startet das neue europäische Förderinstrument ECSEL, welches die drei großen Bereiche der Halbleiter, Embedded Systems und Cyber-Physical Systems (CPS) sowie der Systemintegration abdeckt (siehe Editorial von Heinrich Daembkes sowie ab Seite 6). Wir haben mit Professor Alois Knoll, TU München und fortiss, über ECSEL und die deutsche Plattform zur strategischen Abstimmung ECSEL Germany gesprochen.
Herr Professor Knoll, wie beurteilen Sie die Entwicklungen im Bereich Embedded Systems und CPS im nationalen und europäischen Umfeld?
Wir haben auf dem Gebiet CPS national und europäisch nach wie vor einen guten Stand, weil wir im Bereich Embedded dank der Rationalisierungsanforderungen unserer Industrien ständig gezwungen sind, die weltweit besten Systeme zu entwickeln und einzusetzen. Wir sollten deshalb in der Lage sein, unser Systemwissen auf andere Bereiche wie „Smart Cities“, zukünftige Energieverteilung oder kognitive Assistenzsysteme zu übertragen. Dazu ist eine kluge Förderpolitik, gepaart mit einem Bewusstsein bei allen Verantwortlichen für die Schlüsselfunktion von CPS erforderlich, um sicherzustellen, dass wir hier nicht eine weitere Zukunftsindustrie in Europa verlieren und damit zur Technik-Provinz werden.
Welche Notwendigkeit besteht für eine Bildung von ECSEL Germany?
Die EU-Kommission hat durchaus die Zeichen erkannt und will unsere europäischen Interessen in der Nanoelektronik mit denen bei eingebetteten Systemen und der Systemintegration in ECSEL zusammenführen. Damit soll Europa auch zukünftig bei Schlüsseltechniken komplexer elektronischer Systeme an vorderster Front spielen können. In Deutschland müssen wir im Zeitalter der Systems of Systems zweifellos unsere traditionelle Stärke der Beherrschung von vertikalen Systemlösungen weiter fördern. Deutschland sollte deshalb die noch bestehende Chance ergreifen, die vorhandenen Kompetenzen auf den Feldern Komponenten, Software, Dienste und Dienstleistungen so zu bündeln, dass wir von den weltweit vorhandenen Vorleistungen und Investitionen maximal profitieren können. Dazu ist die Formulierung unserer spezifischen Interessen durch ECSEL Germany sicher nötig und nach meiner Erfahrung in Brüssel durchaus gern gesehener Input.
Welche Ziele hat die Initiative?
Wir wollen erreichen, dass durch koordinierte Initiativen die Technologieführerschaft Europas bei den komplexen Systemen für alle Arten innovativer CPS-Anwendungen sichergestellt und, wo nicht vorhanden, nach Möglichkeit erreicht wird. Das heißt auch, dass wir die Führerschaft bei Design, Produktion und Service dieser CPS haben wollen - speziell auch bei der Mikrosystemtechnik und den sensorbasierten Smart Systems. Wir wollen also in ECSEL Germany eine abgestimmte Forschungs- und Innovationsstrategie zur Verbesserung der deutschen Wettbewerbsposition erarbeiten. Das geht natürlich nur in enger Abstimmung mit den politischen Entscheidungsträgern in Deutschland, um die Beteiligung deutscher Partner an den nationalen und europäischen Forschungskooperationen in bestmöglicher Weise sicherzustellen.
Wie bewerten Sie das Zusammenspiel der Technologiefelder Embedded Systems, Halbleiter und Smart Systems?
Aus meiner Sicht sind Sensoren, MEMS (Microelectromechanical systems) und Aktoren als direkte Interfaces zur physikalischen Welt analoge Komponenten und werden dies auch in Zukunft sein. Hier sind wir dank der Anstrengungen der deutschen und europäischen Halbleiter- und Mikrosystemtechnikindustrie hervorragend positioniert und sollten alle Anstrengungen unternehmen, dass dies so bleibt. Denn nicht zuletzt ist es für unsere Leitindustrien, wie die Automobiltechnik, von entscheidender Bedeutung.
Wichtig ist die Tatsache, dass die Eigenschaften des Gesamtsystems teilweise heute schon, in der Zukunft aber fast vollständig, in digitaler Form bestimmt werden, wobei hier die Hardware immer weiter kommoditisiert wird und einem enormen Kostendruck unterliegt. Auf dem Feld der Softwareentwicklung ist hingegen in steigendem Maße menschliche Kreativität gefragt. Da müssen wir investieren und ich habe auch den Eindruck, dass man bei den traditionellen Halbleiterherstellern diese Weiterentwicklung des Portfolios mit einigem Nachdruck betreibt.
Wie sehen Sie den Bereich Embedded Computing Systems in ECSEL und auch im Arbeitskreis ECSEL Germany vertreten?
Nach meinem Eindruck ist das Thema CPS in weiten Teilen unserer Großunternehmen als Zukunftsthema identifiziert - diese sind ja auch in ECSEL gut vertreten. Und es ist auch anerkannt, dass digitale Technologien in Form vernetzter eingebetteter Systeme für Deutschland schon jetzt von enormer Bedeutung und überlebenswichtig für die Zukunft unserer Volkswirtschaft sind. Die universitätsnahen Informatik-Forschungsinstitute in Deutschland waren hier durchaus seit langem sehr aktiv im Bewusstseinsbildungsprozess. Bei der Beteiligung kleinerer Unternehmen, die das Thema ja ebenso betreffen wird, könnten wir uns eine stärkere Beteiligung vorstellen und wünschen sie uns auch, aber wir stehen ja erst am Anfang des Aufbauprozesses.
Welche Potenziale lassen sich Ihrer Meinung nach durch eine engere Zusammenarbeit zwischen der Halbleiter-, Smart Systems- und Embedded Computing Systems-Industrie und Forschungsinstituten heben?
Die kommenden autonomen Systeme und ihr Einsatz in den unterschiedlichsten Bereichen stellen einen geradezu idealtypischen Fall für eine langfristige Partnerschaft dar. Diese Systeme sind die komplexesten jemals von Menschenhand erdachten und gebauten Maschinen, jeder wird hier gefordert werden, über alle Disziplinen hinweg, bis zu Ethik und Recht. Die Institute legen die methodischen Grundlagen und erarbeiten dabei gleichzeitig die Standards - nicht als Gremienübung, sondern als aktive Vermessung und Festlegung sinnvoller Ausschnitte des Designraums. Die Industrie nimmt diese auf und arbeitet vorwettbewerblich koordinierend mit den Instituten, denn keines unserer europäischen Unternehmen hat heute noch eine so dominante Größe wie früher, um einzeln Standards für ganze Branchen zu setzen. Das geht nur noch gemeinsam. Die Industrie definiert Produkt-Roadmaps, die sicherstellen, dass der jeweils nächste Entwicklungsschritt für übermorgen durch die Produkte von heute finanziert werden kann. Da werden wir noch viele Jahre zu tun haben.
Sind bereits konkrete FuE-Projekte in Planung?
Eine ganze Menge. ECSEL hat bereits die Querschnittsthemen effiziente Energienutzung, Mobilität und Transport, intelligente Städte, Gesundheit, Produktions- und Automatisierungstechnik definiert. Dies wird ergänzt durch Entwurfsmethodik und -techniken sowie Sicherheit. Eher technologieorientierte Themen betreffen die Bereiche Nanoelektronik, CPS und Smart Systems. Zielgrößen sind jeweils sukzessiv höhere Autonomiegrade und Energieeinsparung bis hin zu den Fast-Null-Energie-Systemen.
Welche Ziele und Hoffnungen verknüpfen Sie mit ECSEL und auch mit ECSEL Germany?
Dass wir uns den Fortschritt im Bereich IKT zunutze machen, um uns aufbauend auf den globalen Vorleistungen und Investitionen wieder an die Spitze setzen können - so wie vor 25 Jahren mit GSM, der großen europäischen IKT-Erfolgsstory, die aber nicht verhindern konnte, dass unser Kontinent in dieser Branche heute keine Rolle mehr spielt. Das darf uns nicht wieder passieren. Wir müssen erkennen, dass die Digitalisierung erst aufhören wird, wenn alles digitalisierbare auch digitalisiert ist und dementsprechend in der intelligenten Verknüpfung und Integration von Komponenten, Systemen, Diensten und Dienstleitungen unsere historische Chance erkennen und nutzen. Wenn ECSEL und wir dazu einen signifikanten Beitrag liefern können, hat sich die Arbeit mehr als gelohnt!
Vielen Dank für das Gespräch!
Das komplette Interview finden Sie unter:
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Alois Knoll
Prof. Knoll promovierte (1988) und habilitierte (1993) an der TU Berlin. Anschließend war er als Ord. Professor und Direktor der Forschungsgruppe „Technische Informatik“ an der Universität Bielefeld tätig, bis er 2001 die Leitung des Lehrstuhls für Echtzeitsysteme und Robotik der TUM übernahm. Zudem war Prof. Knoll von 2001 bis 2004 Abteilungsleiter Educational Robotics und Mitglied im Leitungskreis des Fraunhofer-Instituts für Autonomous Intelligent Systems (AIS), Bonn.
Er ist seit 2009 Direktor des An-Instituts fortiss GmbH und Direktor der Graduate School of Information Science in Health an der TUM. Er veröffentlichte über 400 wissenschaftliche Arbeiten, ist Mitglied der GI und des IEEE sowie Fellow der Universität Tokio.