Die grundsätzliche technische Realisierbarkeit hochautomatisierter Systeme in Verkehrsdomänen wie der Luftfahrt, im Zugverkehr und der Automobildomäne hat sich bereits sowohl in Forschungsprojekten als auch in der Praxis gezeigt. Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Technologiesprung für die Entwicklung und Fertigung für Zulieferfirmen? Lassen sich neue Geschäftsfelder generieren? Peter Heidl, bei der Robert Bosch GmbH im Bereich Forschung und Vorausentwicklung tätig, spricht über die aktuellen Herausforderungen.
Herr Heidl, der technologische Fortschritt insbesondere auch im Bereich von Embedded Systems (ES) ermöglicht eine immer höhere Automatisierung. Welche Anwendungen sind für die Robert Bosch GmbH von Bedeutung?
Peter Heidl: Die Robert Bosch GmbH ist in den Feldern Automobilbau, Industrieautomatisierung und Konsumgüter aktiv. Dabei ist die Automatisierung nicht auf eines dieser Geschäftsfelder beschränkt.
Im Alltag verbinden wir höhere Automatisierung oft mit automatisierten Maschinen, wie Fahrzeugen, Robotern oder Fertigungsanlagen. Zukünftig wird ein großer Teil von Automatisierung mit Diensten wie Wartungs-, Mobilitäts-, Energiemanagement- oder Smart Home Services umgesetzt. Diese Form der Automatisierung basiert auf Daten, die durch Sensoren und Benutzerinteraktionen erzeugt werden und in einer Wissensbasis repräsentiert sind.
Welche Neuerungen und Änderungen in der Entwicklung von ES für autonome Systeme sehen Sie bzw. erwarten Sie in Zukunft?
Zukünftig werden sich Paradigmen, die bisher die Entwicklung eingebetteter Systeme bestimmt haben, ändern. Dies betrifft vor allem zwei Punkte:
Die modellbasierte Entwicklung wird die implementierungsbasierte Entwicklung ablösen.
Die Kooperationen zwischen OEMs und Zulieferern werden mit dem Austausch von Modellen beginnen und sich nicht mehr nur auf Lieferungen von Code oder Steuergeräten beschränken.
Generell werden sich die Systeme wandeln von Systemen mit determiniertem zu Systemen mit offenem Kontext. Dadurch werden Sensoren wichtiger als Aktuatoren. Der Aufwand, den relevanten Kontext dieser Systeme mit offenem Kontext zu modellieren, wird die Aufwendungen für die Entwicklung dieser Systeme um ein vielfaches übersteigen, was Kooperationen der Partner einer Domäne notwendig macht.
Welche Herausforderungen in der Entwicklung von ES ergeben sich?
Die Situationen, die diese Systeme beherrschen müssen, sind so vielfältig, dass sie nicht mehr alle im Detail vorausgedacht und programmiert werden können. Eine Frage, die wir uns bei der Entwicklung von hochautomatisierten Systemen stellen ist: Wie kann sichergestellt werden, dass diese Systeme funktionieren und das von diesen Systemen keine Gefahr ausgeht? Dazu müssen wir Engineering Ansätze entwickeln, die mit Daten umgehen können, die nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit korrekt sind und sich trotzdem mit formalen Mitteln validieren lassen.
Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus der Tatsache, dass diese Systeme einen offenen Kontext haben, der sich dynamisch permanent verändert.
Die sehr komplexe Aufgabe diesen Kontext mit beschränkten Ressourcen an Speicher und Rechenleistung eines embedded Steuergeräts zu erfassen, dynamisch zu repräsentieren und zu interpretieren stellt trotz Many-Core-Rechnern eine zusätzliche Herausforderung dar.
Sie sind bei der Robert Bosch GmbH im Bereich Forschung und Vorausentwicklung tätig. Wie nah dran sind dort Projekte im Bereich Software-intensive Systeme an der konkreten Anwendung?
Wir bei Bosch betreiben anwendungsnahe Forschung mit dem Ziel, Innovationen zu entwickeln, die in unsere Produkte einfließen. Machbarkeit, Kosten und Qualität unserer Lösungen müssen sich im Produkt bestätigen. Dazu haben wir in nahezu allen Forschungsvorhaben eine enge Kooperation mit unseren Geschäftsbereichen.
Bei neuen Projekten zielen wir auf die dritte Produktgeneration. Die aktuelle Generation ist auf dem Markt, die zweite haben wir bereits mit unserem Geschäftsbereich in einem früheren Zyklus vorbereitet und in die folgende, dritte Generation können die neuen Ansätze einfließen. Diese Entwicklungen können je nach Produktzyklus bei einem bis drei Jahre Vorlaufzeit liegen.
Ergeben sich durch immer mehr autonome Steuerung und Unterstützung im Automobil für die Robert Bosch GmbH auch neue Kundengruppen, z.B. aus dem Bereich der Verkehrsinfrastruktur?
Bosch wird auch in Zukunft Sensoren, Aktuatoren und intelligente Steuergeräte für Fahrzeuge im Kontext des automatisierten Fahrens liefern. Die Kunden dafür sind und bleiben die Fahrzeughersteller.
Intelligente Verkehrsinfrastruktur kann den fahrzeugzentrierten Ansatz zu einem intelligenten Mobilitätssystem weiterentwickeln. Sicherere Vernetzungskonzepte und Mobilitätsservices bieten dann durchaus neue Geschäftschancen für unser Unternehmen.
Ergibt sich ebenfalls ein neuer After-Sales-Markt?
Einige Assistenzfunktionen, welche die Automatisierung des Fahrens erschließen, sind auch für die Nachrüstung von Fahrzeuge, die bereits auf den Straßen unterwegs sind, geeignet. Dabei kann es sich um reine Software oder auch um ein Paket aus Software und Sensoren handeln. Voraussetzung dafür sind aber Steuergeräte, die ein sicheres Nachladen von Funktionen durch den Kunden erlauben, so wie wir heute eine App auf unser Smartphone laden. Dies ist heute in den Fahrzeugen noch nicht gegeben.
Wie sehen Sie die deutsche ES-Industrie aufgestellt?
Die Stärke der deutschen ES-Industrie liegt in ihrer Innovationskraft. Dazu kommt die operative Exzellenz im Engineering. Bei beiden Aspekten sehe ich die deutsche Industrie auf einem hohen Niveau. Da die Herausforderungen im Engineering automatisierter Systeme aber disruptiv ist, braucht es immense Anstrengungen um in der Spitzenposition zu bleiben.
Welche Vorteile sehen Sie für Verbundprojekte im Bereich ES für autonome Systeme?
Autonomie von Systemen spielt in vielen Industriedomänen für die Zukunft eine wettbewerbsentscheidende Rolle. Dabei sind eine Vielzahl von technischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen zu beantworten, die eine einzelne Firma nicht lösen kann. Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie hängt von der gemeinsamen Beantwortung dieser Fragen ab, um den Vorsprung, den Europa in der Entwicklung von Systemen hat, nicht zu verspielen. Die Schlacht um das Internet haben wir verloren und sind bestenfalls noch Follower. Aber wir haben gute Chancen im Bereich autonome Systeme zu gewinnen, wenn wir gemeinsam handeln.
Ergeben sich durch den Einsatz von höherer Automatisierung auch Nachteile? Falls ja, welche sind das und wie könnte man mit diesen umgehen?
Die Interaktion von Menschen mit Maschinen wird komplexer. Wie eine autonome Maschine reagiert, wird für viele in einer konkreten Situation nicht mehr durchschaubar sein, was uns teilweise heute schon mit unseren Computern so geht. Daneben sind Haftungsfragen schwierig zu klären, wenn aus autonomen Aktionen einer Maschine Schäden entstehen. Maschinen lernen und können gegebenenfalls von Maschine zu Maschine Wissen weitergegeben. Eine Schwierigkeit, die ausgeräumt werden muss, betrifft z.B. die Eigentumsrechte von digitalen Daten: Wem gehört z.B. beim Fahrzeug das Wissen - dem Fahrer, dem Besitzer des Fahrzeugs, dem Hersteller, dem Zulieferer oder allen zusammen? Bei der Interaktion von Menschen mit Maschinen entstehen eine Menge persönlicher Daten, die geschützt werden müssen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Peter Heidl

Peter Heidl schloss 1981 erfolgreich das Studium der Elektrotechnik und Informatik an der FH Esslingen ab. Es folgte die Entwicklung von automatisierten Prüfständen bei der Daimler Benz AG bis 1984. Im selben Jahr wechselte Peter Heidl zur Robert Bosch GmbH, wo er bis 1999 im Bereich der Software-Vorausentwicklung von Telekommunikatonssystemen tätig war. Bis heute ist er in der Forschung und Vorausentwicklung Software-intensive Systeme für das Engineering zuständig und hat aktuell die Position des Chief Expert Systems- & Software Engineering inne, wo er das Engineering-Programm eingebetteter Echtzeit-Systeme verantwortet.